Die Gesamtzahl der ärztlichen Gutachten zu Behandlungsfehlervorwürfen liegt seit Jahren auf einem gleichbleibenden Niveau bei etwa 14.000 Fällen pro Jahr bundesweit. Im vergangenen Jahr bestätigte der Medizinische Dienst in 4.099 Fällen einen Fehler und in 3.550 Fällen einen Fehler mit Schaden. In 2.826 Fällen stellten die Gutachterinnen und Gutachter fest, dass der Fehler Ursache des Schadens war. „Unsere Zahlen zeigen nur einen kleinen Ausschnitt eines Problems, das engagierter angegangen werden muss“, sagt Dr. Stefan Gronemeyer, Geschäftsführer des MDS. „Wir brauchen endlich systematische Anstrengungen zur Reduzierung vermeidbarer unerwünschter Ereignisse, die schwere Schädigungen verursachen können.“ Dazu gehören zum Beispiel
Patienten- und Seitenverwechslungen, Medikationsfehler oder zurückgebliebene Fremdkörper nach Operationen. Diese sogenannten Never Events sind für das Erkennen, Umsetzen und Bewerten von Sicherheitsmaßnahmen von großer Bedeutung. Sie sollten daher verpflichtend gemeldet, analysiert und für die Entwicklung von Präventionsmaßnahmen genutzt werden. Dazu hat nun auch die WHO (World Health Organization) ihre Mitgliedsstaaten aufgefordert. Die Weltgesundheitsorganisation hat im September die Patientensicherheit zum prioritären Gesundheitsziel erklärt.
Fehler in vielen Fachgebieten und bei unterschiedlichsten Eingriffen
In der aktuellen Begutachtungsstatistik des Medizinischen Dienstes betrafen zwei Drittel der Vorwürfe Behandlungen in der stationären Versorgung, zumeist in Krankenhäusern (9.293 Fälle); ein Drittel bezog sich auf Arztpraxen (4.723 Fälle). „Hintergrund dieser Verteilung ist, dass sich die meisten Behandlungsfehlervorwürfe auf operative Eingriffe beziehen, und diese erfolgen zumeist in der stationären Versorgung“, erläutert Prof. Dr. Astrid Zobel, Leitende Ärztin des Medizinischen Dienstes Bayern. Knapp 31 Prozent aller Vorwürfe (4.337 Fälle) betrafen die Orthopädie und Unfallchirurgie, 12 Prozent die Innere Medizin und Allgemeinmedizin (1.634 Fälle), 9 Prozent die Allgemein- und Viszeralchirurgie (1.296 Fälle), ebenfalls 9 Prozent (1.198 Fälle) die Zahnmedizin, 8 Prozent die Frauenheilkunde und Geburtshilfe (1.128 Fälle) und 6 Prozent die Pflege (899 Fälle). Rund 25 Prozent der Vorwürfe bezogen sich auf 29 weitere Fachgebiete.
Die festgestellten Fehler betreffen die unterschiedlichsten Behandlungen. Sie reichen von Knie- und Hüftgelenksimplantationen über Zahnentfernungen bis hin zu Knochenbrüchen, Gallensteinbehandlungen oder Operationen am Grauen Star. Die Zahlen sind nicht repräsentativ. Sie zeigen lediglich die Begutachtungsergebnisse des Medizinischen Dienstes. „Eine Häufung von Vorwürfen in einem Fachgebiet sagt nichts über die Fehlerquote oder die Sicherheit in dem jeweiligen Gebiet aus“, erklärt Zobel. Häufungen sagen viel mehr darüber etwas aus, wie Patientinnen und Patienten Behandlungen erleben. Fehler bei chirurgischen Eingriffen können Betroffene meist leichter erkennen als zum Beispiel Medikationsfehler auf der Intensivstation.
Zwei Drittel der Schäden sind vorübergehend
Bei zwei Drittel (66,8 Prozent) der begutachteten Fälle waren die Gesundheitsschäden der Patientinnen und Patienten vorübergehend. Das heißt, eine Intervention oder ein Krankenhausaufenthalt war notwendig oder musste verlängert werden. Bei rund einem Drittel der Fälle wurde ein Dauerschaden verursacht. Dabei unterscheidet man zwischen leicht, mittel und schwer. Ein leichter Dauerschaden kann zum Beispiel eine geringe Bewegungseinschränkung oder eine Narbe sein. Ein mittlerer Dauerschaden kann eine chronische Schmerzsymptomatik, eine erhebliche Bewegungseinschränkung oder die Störung einer Organfunktion bedeuten. Ein schwerer Dauerschaden kann vorliegen, wenn Geschädigte bettlägerig und aufwendig pflegebedürftig geworden sind ─ wenn sie aufgrund eines Fehlers erblinden oder querschnittsgelähmt sind. In knapp 3 Prozent der Fälle (82) hat ein Fehler zum Versterben der Patientin oder des Patienten geführt oder wesentlich dazu beigetragen.
Hintergrund
Spezielle Gutachterteams des Medizinischen Dienstes prüfen Vorwürfe von Behandlungsfehlern im Auftrag der gesetzlichen Krankenkassen. Die Gutachterinnen und Gutachter gehen dabei der Frage nach, ob die Behandlung nach dem anerkannten medizinischen Standard und in aller Sorgfalt abgelaufen ist. Liegt ein Behandlungsfehler vor, wird geprüft, ob der Schaden, den der Versicherte erlitten hat, durch den Fehler verursacht worden ist. Nur dann sind Schadenersatzforderungen aussichtsreich. Auf der Basis des Sachverständigengutachtens können die Betroffenen entscheiden, welche weiteren Schritte sie unternehmen wollen. Den Versicherten entstehen durch die Begutachtung keine zusätzlichen Kosten.