Im vergangenen Jahr bestätigte der Medizinische Dienst in 3.665 Fällen einen Fehler und in 3.222 Fällen einen Fehler mit Schaden. In 2.709 Fällen war der Fehler Ursache des erlittenen Schadens. „Die Dunkelziffer der Behandlungsfehler liegt deutlich über dem, was in der Begutachtungsstatistik sichtbar wird. Das ist vielfach wissenschaftlich belegt“, sagt Dr. Stefan Gronemeyer, Vorstandsvorsitzender des Medizinischen Dienstes Bund. „Um die Patientensicherheit mit gezielten Maßnahmen zu verbessern, sollte eine Nationale Liste für Never Events verpflichtend eingeführt werden. Wir begrüßen ausdrücklich, dass der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, dies auf die Agenda gesetzt hat.“
Never Events sind gut vermeidbare unerwünschte Ereignisse, die zu besonders schwerwiegenden Schäden bei Patientinnen und Patienten führen können. Dazu gehören zum Beispiel Patienten- und Seitenverwechslungen, Medikationsfehler oder zurückgebliebene Fremdkörper nach Operationen.
Solche Ereignisse sind selten ─ sie tauchen aber jedes Jahr in der Begutachtungsstatistik auf (2021: 130 Fälle; 2020: 120 Fälle). Diese Ereignisse sind für das Erkennen von Risiken sowie für das Umsetzen und Bewerten von Sicherheitsmaßnahmen von großer Bedeutung. Denn sie zeigen, wo Risiken im Versorgungsprozess bestehen und welche Sicherheitsvorkehrungen unzureichend sind. Die Meldung solcher Ereignisse werden in anderen Ländern bereits für die Prävention erfolgreich genutzt. Dies sollte auch in Deutschland umgesetzt werden. Voraussetzung dafür ist, dass die Ereignisse vertraulich, anonym und losgelöst von haftungsrechtlichen Konsequenzen erfolgen. Sie dürfen nur der Verbesserung der Patientensicherheit dienen.
Fehler in vielen Fachgebieten und bei unterschiedlichsten Eingriffen
Zwei Drittel aller erhobenen Behandlungsfehlervorwürfe der aktuellen Jahresstatistik bezogen sich auf Leistungen in der stationären Versorgung, zumeist in Krankenhäusern (8.690 Fälle). Ein Drittel bezog sich auf Arztpraxen (4.339 Fälle). „Hintergrund dieser Verteilung ist, dass sich die meisten Vorwürfe auf operative Eingriffe beziehen, und diese erfolgen zumeist in der stationären Versorgung“, erläutert Prof. Dr. med. Astrid Zobel, Leitende Ärztin des Medizinischen Dienstes Bayern.
30 Prozent aller Vorwürfe (3.909 Fälle) betrafen die Orthopädie und Unfallchirurgie, rund 12 Prozent die Innere Medizin und Allgemeinmedizin (1.608 Fälle), jeweils knapp 9 Prozent die Frauenheilkunde und Geburtshilfe (1.133 Fälle) sowie die Allgemein- und Viszeralchirurgie (1.130 Fälle). 8 Prozent entfielen auf die Zahnmedizin (1.081 Fälle) und knapp 6 Prozent auf die Pflege (750 Fälle). Über 26 Prozent der Vorwürfe bezogen sich auf 29 weitere Fachgebiete.
In der Jahresstatistik 2021 sind 13.050 Verdachtsfälle zu insgesamt 1.006 unterschiedlichen Diagnosen erfasst. Die Vorwürfe reichen von fehlerhaften Knie- und Hüftgelenksimplantationen über die Therapie von Knochenbrüchen, Durchblutungsstörungen am Herzen bis hin zu Gallensteinen und Zahnerkrankungen.
Die Zahlen sind nicht repräsentativ ─ sie zeigen lediglich die Begutachtungszahlen und -ergebnisse des Medizinischen Dienstes. „Eine Häufung von Vorwürfen in einem Fachgebiet sagt nichts über die Fehlerquote oder die Sicherheit in dem jeweiligen Gebiet aus“, erklärt Zobel. „Häufungen zeigen, dass Patientinnen und Patienten reagieren, wenn eine Behandlung nicht ihren Erwartungen entspricht.“ Fehler bei chirurgischen Eingriffen sind für die Patienten dabei leichter zu erkennen als zum Beispiel Medikationsfehler.
Zwei Drittel der Schäden sind vorübergehend
Bei knapp zwei Drittel (65,2 Prozent) der begutachteten Fälle waren die Gesundheitsschäden der Patientinnen und Patienten vorübergehend. Das bedeutet, eine Intervention oder ein Krankenhausaufenthalt war notwendig. Die Patienten sind jedoch vollständig genesen. Bei knapp einem Drittel der Betroffenen wurde ein Dauerschaden verursacht.
Man unterscheidet zwischen leichten, mittleren und schweren Schäden. Ein leichter Dauerschaden kann zum Beispiel eine geringe Bewegungseinschränkung oder eine Narbe sein. Ein mittlerer Dauerschaden kann eine chronische Schmerzsymptomatik, eine erhebliche Bewegungseinschränkung oder die Störung einer Organfunktion bedeuten. Ein schwerer Dauerschaden kann vorliegen, wenn Geschädigte bettlägerig und aufwendig pflegebedürftig geworden sind ─ wenn sie aufgrund eines Fehlers erblinden oder querschnittsgelähmt sind. In knapp 4 Prozent der Fälle (98) hat ein Fehler zum Versterben geführt oder wesentlich dazu beigetragen.
Hintergrund
Spezielle Teams des Medizinischen Dienstes begutachten Vorwürfe von Behandlungsfehlern im Auftrag der gesetzlichen Krankenkassen. Die Gutachterinnen und Gutachter gehen dabei der Frage nach, ob die Behandlung nach dem anerkannten medizinischen Standard und mit aller Sorgfalt abgelaufen ist. Liegt ein Behandlungsfehler vor, wird geprüft, ob der Schaden, den Versicherte erlitten haben, durch den Fehler verursacht worden ist. Nur dann sind Schadensersatzforderungen aussichtsreich. Auf der Basis des Sachverständigengutachtens können die Betroffenen entscheiden, welche weiteren Schritte sie unternehmen wollen. Den Versicherten entstehen durch die Begutachtung keine Kosten.
Weitere Informationen
Die Jahresstatistik 2021 zur Behandlungsfehlerbegutachtung, die komplette Pressemappe sowie Infografiken finden Sie auf der Internetseite des Medizinischen Dienstes Bund