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Wenn passiert, was nicht passieren soll

Medizinische Gutachten bei Behandlungsfehlern

Ein Behandlungsfehler kann schwerwiegende Folgen haben. Dr. Nu Tuong Vi Bui-Tjoa ist Gutachterin des Medizinischen Dienstes Bayern und prüft Vorwürfe gegen Ärzte und Behandlerinnen. „Ein Behandlungsfehler liegt vor, wenn eine medizinische Behandlung nicht dem allgemein anerkannten fachlichen Standard entspricht. Wichtig ist, ob der Fehler einen Gesundheitsschaden verursacht hat; das alleinige Vorliegen eines Fehlers reicht nicht aus, um einen Schadenersatzanspruch zu begründen“, erklärt Bui-Tjoa.

Auch eine Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht kann einen Behandlungsfehler darstellen. Sie betont jedoch, dass nicht jeder negative Behandlungsausgang auf einen Behandlungsfehler zurückzuführen ist. Behandlungsimmanente Risiken und Komplikationen können auch bei ordnungsgemäßer Behandlung auftreten. „In der Begutachtung versetzen wir uns in die Situation der Behandlerin oder des Behandlers zum Zeitpunkt der Behandlung mit den damals vorliegenden Informationen“, sagt Bui-Tjoa. Dies stellt sicher, dass die Bewertung fair und im Kontext der damaligen medizinischen Standards erfolgt. Ein Beispiel für einen Behandlungsfehler wäre, wenn ein Arzt eine Blinddarmentzündung übersieht und zu spät operiert, was zu Komplikationen führt.

Dr. med. Nu Tuong Vi Bui-Tjoa, ärztliche Gutachterin für Behandlungsfehler, ist seit 2012 für den Medizinischen Dienst Bayern tätig. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin hat sich 2018 auf Medizinrecht spezialisiert. Als erfahrene Gutachterin bringt sie ihr fundiertes Fachwissen ein und trägt maßgeblich zur unabhängigen und präzisen Begutachtung medizinischer Sachverhalte bei. Ihre Arbeit hilft, komplexe medizinische Fälle bei vermuteten Behandlungsfehlern zu analysieren und die Einhaltung fachlicher Standards objektiv und neutral zu bewerten.

2023 haben die Medizinischen Dienste bundesweit etwa 12.400 Behandlungsfehlervorwürfe geprüft. In jedem vierten Fall stellten die Gutachterinnen und Gutachter einen Behandlungsfehler und einen Schaden fest. In jedem fünften Fall war der Behandlungsfehler die Ursache des Schadens. Die meisten Behandlungsfehlervorwürfe betrafen Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Innere Medizin und Allgemeinmedizin. „Der Medizinische Dienst wird von der Krankenkasse beauftragt, bei Verdacht auf einen Behandlungsfehler ein Gutachten anzufertigen“, erklärt Bui-Tjoa. Die Gutachterinnen und Gutachter orientieren sich dabei insbesondere an den Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF).

„Jeder Behandlungsfehler ist einer zu viel. Das gilt besonders für sogenannte Never Events. Das sind schwerwiegende, aber sicher vermeidbare Fehler, wie zum Beispiel das Verwechseln von Patienten oder von Operationsseiten“, sagt Dr. Charlotte Hölscher, Leiterin der Fachstelle Patientensicherheit beim Medizinischen Dienst Bund, und betont: „Um solche schwerwiegenden Fehler systematisch vermeiden zu können, müssen zunächst aussagekräftige und belastbare Informationen dazu vorliegen. Deshalb brauchen wir in Deutschland endlich ein verpflichtendes Meldesystem für Never Events. In vielen Ländern sind solche Register bereits etabliert.

 

 

Dr. med. Charlotte Hölscher leitet seit 2021 die Fachstelle Patientensicherheit beim Medizinischen Dienst Bund. Zuvor arbeitete die Fachärztin für Innere Medizin zehn Jahre in verschiedenen Kliniken und weiß aus dieser Zeit, wie schnell es im klinischen Alltag zu Fehlern kommen kann.

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