Was tun, wenn der Standard nicht mehr ausreicht?
Arzneimitteleinsatz in besonderen Fällen
Die Sozialmedizinische Expertengruppe 6 – das sind die Expertinnen und Experten für Arzneimittelversorgung. Dahinter verbirgt sich ein komplexes und wichtiges Thema, das unmittelbare Auswirkungen auf die Versorgung der Menschen mit Arzneimitteln hat. Welche Aufgaben die Expertengruppe hat und was sie bewegt, darüber haben wir mit Dr. Andreas Rhode gesprochen. Er ist seit 2021 Leiter der SEG 6.
Herr Dr. Rhode, ein wesentlicher Teil der Arbeit der SEG 6 dreht sich um die Beratung von Institutionen. Welche sind das?
Wir beraten den GKV-Spitzenverband für seine Tätigkeit im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) und in Grundsatzfragen, zum Beispiel bei der Nutzenbewertung, und wir sind Teil der Off-Label-Expertengruppe, die sich mit dem Einsatz von Arzneimitteln außerhalb ihrer bestimmungsgemäßen Zulassung beschäftigt. Mit der Entwicklung von Begutachtungshilfen für die Gemeinschaft der Medizinischen Dienste stellen wir zudem eine einheitliche Begutachtung sicher.
Was bedeutet Off-Label-Use konkret und welche Fragen müssen Sie hierbei beantworten?
Es geht um die Frage, ob ein Medikament auch dann wissenschaftlich nachvollziehbar erfolgreich eingesetzt werden kann, wenn es eigentlich für etwas anderes entwickelt wurde. Die Frage dahinter: Besteht ein Leistungsanspruch in der GKV beim Einsatz des Arzneimittels? Das ist nicht nur eine medizinisch-wissenschaftliche, sondern auch eine sozialmedizinische Bewertung.
Was ist darunter zu verstehen?
Sozialmedizinisch bedeutet, dass wir den einzelnen Menschen und seine individuelle Situation betrachten. Dabei müssen wir auch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) beachten. Nach dieser darf ein Arzneimittel nur dann außerhalb seiner Zulassung eingesetzt werden, wenn im Einzelfall eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt, eine alternative Behandlungsmöglichkeit fehlt und das Arzneimittel eine begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg erwarten lässt.
Arzneimittel stehen an Platz zwei aller GKV-Ausgaben. Warum ist die Arzneimittelbegutachtung durch den Medizinischen Dienst so wichtig?
Wir unterstützen die Kassen dabei, sachgerechte Entscheidungen auf dem Boden der sozialmedizinischen Kriterien zu treffen. Dabei handelt es sich in den allermeisten Fällen um Arzneimittel, die außerhalb der Indikation eingesetzt werden sollen, für die sie zugelassen sind. Durch die Fachexpertise stellen wir sicher, dass die Kassen alle Entscheidungsgrundlagen erhalten, damit die Versicherten auch dann das beantragte Arzneimittel erhalten, wenn es nicht für die im Einzelfall vorliegende Indikation zugelassen wurde, aber die vom BSG entwickelten sozialmedizinischen Kriterien erfüllt sind. Es muss vor allem auch einen Nutzen für die Patientinnen und Patienten haben, und den müssen wir zum Wohle der Versicherten nachweisen und begründen.
Zum Schluss: Was macht die Arbeit in der SEG 6 für Sie persönlich so wertvoll?
In unserer Arbeit in der Beratung, unserer Grundsatzbegutachtung oder bei Fragestellungen, an denen wir beteiligt sind, zeigt sich der medizinische Fortschritt. Und aus meiner eigenen langjährigen Arbeit als Suchtmediziner weiß ich, wie wichtig „Augenmaß“ ist. Das kann ich und das können meine Kolleginnen und Kollegen hier jeden Tag sinnvoll einbringen.
Dr. med. Andreas Rhode ist Leiter der SEG 6, die beim Medizinischen Dienst Westfalen-Lippe angesiedelt ist. Seit 2019 ist der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie beim Medizinischen Dienst und schätzt an seiner Arbeit, dass sie immer wieder den Weg bereitet, neue Sichtweisen zwischen Patienten und Fachöffentlichkeit zu erschließen.